Womit läuten

 

Schneeglöckchen?

   
   
   
   

Guido saß unter dem Küchentisch. Die Tischplatte als Dach benötigte er dringend, um nachdenken zu können. Vor dem Haus und in dem nahegelegenen Park hatte nämlich der Frühling bereits Einzug gehalten. Das Problem, das es zu klären gab, war gar nicht so einfach: Womit läuten Schneeglöckchen? Oder demnächst Maiglöckchen? Eine Glocke ist doch zum Läuten da, schließlich konnte man von der Kirche am Ende der Straße täglich die Mittagsglocken läuten hören.

Eine Glocke hat im Inneren einen Schwengel, so wie die, die seine Mutter bei besonderen Anlässen schwenkte, um alle zum Essen zu rufen. Aber Schneeglöckchen? Hatten die vielleicht einen so feinen Klang, daß man sie nicht läuten hören konnte? Oder vielleicht konnten nur Hunde deren Läuten vernehmen, da doch Hunde ein weitaus besseres Gehör haben als Menschen?

Die Mama oder den Papa zu fragen, wollte Guido erst gar nicht versuchen. Wahrscheinlich hätten sie ohnedies bloß gesagt, die Schneeglöckchen heißen halt so. Und die Maiglöckchen auch! Basta!

Mit anderen Blumen hatte Guido weniger Probleme. Märzenbecher, zum Beispiel, schauen tatsächlich wie winzige Zahnputzbecher aus und blühen üblicherweise nur im März. Auch mit Veilchen konnte Guido zurechtkommen, schließlich bezeichnet man gelegentlich eine Farbe als Veilchenblau. Veilchen blühen doch blau, oder?

Das mit dem Läuten der Schneeglöckchen gehört wohl zu den Geheimnissen, über die vermutlich nur die Schneeglöckchen selber Bescheid wissen, beschloß Guido. Das Problem blieb demnach ungelöst, genauso, wie jedes Jahr die Frage unbeantwortet bleibt, ob es gute und böse Stiefmütterchen gibt, wenn sie im Sommer zu blühen beginnen.

Schade! Es hätte ihn schon interessiert, womit Schneeglöckchen läuten.

 

©  Peter Weinberger 2015