Der Mehlwurm

 

   
   
   

 „Das ist doch eine Frechheit“, schimpfte Guidos Mama in der Küche, eben damit beschäftigt, alles zum Backen herzurichten, denn die Oma hatte einen feierlichen Staatsbesuch angekündigt. „In dem Mehl ist ein Mehlwurm!“

 „Laß mich schauen, Mama bitte, ich habe noch nie einen Mehlwurm gesehen. Regenwürmer schon öfter, aber einen Mehlwurm noch nie!“ Guido war begeistert. „Ißt ein Mehlwurm Mehl, Mama?“

 „So ein Blödsinn, Guido. Ein Regenwurm ißt ja auch nicht Regen. Der heißt bloß so. Den Mehlsack da muß ich leider zur Gänze wegschmeißen. Jetzt muß ich noch einmal einkaufen gehen, ich wollte nämlich für heute abend, wenn die Oma kommt, Vanillikipferln machen. Wer von euch beiden, du Guido oder die Oma, wird wohl mehr Kipferln in sich hineinstopfen? Kommst du mit, Guido, gehst du mit mir einkaufen?“

Guido zog sich brav an. Brav, denn er war gedanklich immer noch bei den Würmern. Also, dachte er sich, da gibt offensichtlich Regenwürmer, einen Lindwurm, obwohl der eigentlich ein Drache ist, und nun eben Mehlwürmer. Mamas Mehlwurm muß irgendwie blöd gewesen sein, denn heute hätte er die Gelegenheit gehabt, zu einem Vanillikipferlwurm zu mutieren oder an einem anderen Tag hätte er es vielleicht gar zu einem Topfengolatschenwurm gebracht. Würmer sind eigentlich urgrauslich, kein Wunder, daß der Onkel Joschi sie bloß als Köder zum Fischen benützt.

Was ist eigentlich ein Wurmfortsatz? Davon hat doch unlängst jemand im Radio gesprochen. Ist das ein Satz, den man in einem Buch oder in der Zeitung lesen kann? Oder sagt man den, wenn der Wurm fort ist? Die Mama hätte ja den Wurm aus dem Mehl herausklauben können! Dann wäre er nämlich fort gewesen, und sie hätte sich das Schimpfen erspart. Das wäre einfacher gewesen.

Das mit dem Wurmfortsatz muß ich am Abend den Papa fragen, beschloß Guido, der ärgert sich nämlich immer ganz besonders, wenn er etwas nicht gleich weiß und selber nachschauen muß. Vanillikipferln, fiel ihm ein, mag er übrigens nicht besonders. Wahrscheinlich, weil die Oma sagen wird, iß nicht so viele, Guido, während sie eines nach dem anderen in ihrem Mund verschwinden läßt.

 

 

©  Peter Weinberger 2015