Eines Sonntagnachmittags zeigte Onkel Joschi Guido, wie man aus Spielkarten Häuser bauen kann. Guido gefiel das sehr, denn man mußte ordentlich geschickt sein, um ein richtiges Haus zu bauen. Vorsichtig legt man dabei eine Karte auf die andere und errichtet ein Obergeschoß aus aufgestellten Karten. Und dies so lange, wie der Kartenvorrat reicht oder aber auch alles in sich zusammenfällt.
Eine Zeitlang war Guido beschäftigt Häuser der Breite nach oder aber auch der Höhe nach zu vergrößern und auszubauen. Allerdings war es langweilig - so fand zumindest Guido - daß man immer nur die Rückseite der Karten, so wie es ihm Onkel Joschi gezeigt hatte, als Fassaden verwenden soll. Es war viel schöner, sich Häuser zu überlegen, wo auch die Kartenbilder Teile des Kartengebäudes wurden.
So konnte man die vier Könige so nebeneinander aufstellen, daß sie aussahen wie Feldkrähen, die sich mit Mißtrauen anstarrten. Man konnte aber auch richtige Märchenhochzeiten feiern. Entlang einer Front zum Beispiel der Herz-Bube mit der Karo-Dame, beide umgeben von unterwürfigen Ziffernkarten. Eine andere Seite war zum Beispiel dem Pik-König und der Herz-Dame gewidmet. Viele Möglichkeiten ergaben sich da, die Kartenhäuser mit Leben zu versehen. Nur mit den Einsern, den Assen konnte sich Guido nicht so richtig anfreunden. Sie waren ihm zu nackt. Sie konnten einfach nicht bestehen vor den anderen Karten. Zwar wußte Guido, daß Asse in manchen Kartenspielarten sehr prominente Rollen innehaben. Aber man muß sich schließlich nicht nach Spielregeln richten, um Kartenhäuser zu bauen.
Da Guidos Kartenvorrat sehr beschränkt war, beschloß er, in Vaters Schreibtisch nach weiteren Kartenpaketen zu kramen. Natürlich ganz heimlich, entgegen ausdrücklicher Verbote.
Zu seinem Vergnügen fand er gleich zwei Pakete. Eines mit eigenartigen Zeichen in der oberen und unteren Ecke, die sich mühsam als römische Ziffern enträtseln ließen. Ganze Bilderfolgen konnte man da in die Fassaden der Häuser einbauen. Besonders gut gefiel ihm dabei die Karte, die eine Art Hanswurst im karierten Anzug zeigt. Aber auch das andere Paket war nicht ohne. Da waren Karten mit Eicheln und Blättern, und manche Karten zeigten sogar ganze Szenen.
So versunken war Gido in seine lebenden Kartenhäuser, daß er gar nicht bemerkte, wie Onkel Joschi sich ins Zimmer schlich. Er zuckte richtig zusammen als Onkel Joschi ihm die Hände auf die Schultern legte. Aber es geschah nichts, das heißt es geschah eigentlich doch etwas: Onkel Joschi lud ihn für den nächsten Sonntag am Nachmittag zu sich ein, um Guido seine Kartensammlung zu zeigen.
Ungeduldig erwartete Guido den nächsten Sonntag. Dann war es soweit. Onkel Joschi zeigte ihm Karten aus früheren Zeiten, aus anderen Ländern. Mit geheimnisvollen Gegenständen abgebildet oder aber auch mit abenteuerlichen Gestalten, die Säbel schwingen oder ihre Umwelt mit Keulen bedrohen. Ganz stolz war Guido jedoch als Onkel Joschi ihm zum Abschied das Paket mit den spanischen Karten schenkte.
Nun konnte er Häuser bauen, deren Vorderseiten voll goldstrotzender, geheimnisvoller Gefäße waren und die an den Seiten von kriegerischen Männern bewacht wurden. In die Obergeschoße konnte man dann ehrwürdige Könige einbauen. Guido fand, daß sich so ganze Geschichten bauen ließen und nicht nur Kartenhäuser.
© Peter Weinberger 2015