Am Zahnfleisch gehen
„Was ist mit dir, Guido? Warum bleibst du immer so weit hinter uns? Bist du schon müde?“ Und lachend: „Gehst du schon am Zahnfleisch?“
Guido haßte Ausflüge in den Wienerwald. Die Erwachsenen rannten wie verrückt, es blieb kaum Zeit, sich umzuschauen, besondere Blätter zu bestaunen oder einem Mistkäfer bei seiner Arbeit zuzusehen.
Was hat die Mama eben zu ihm gesagt? Ob er schon am Zahnfleisch gehe? Aber das kann doch gar nicht funktionieren! Er legte sich mitten am Weg auf den Bauch und bettete sein Gesicht vorsichtig auf den Boden. Bitte, wie kann ein vernünftiger Mensch auf dem Zahnfleisch gehen? Was macht er dann mit den Beinen und den Füßen? Hängt vielleicht der Popo in der Luft? Die Nase muß doch unheimlich beim Gehen auf dem Zahnfleisch bremsen!
Eben kam seine Mutter besorgt gelaufen. „Was ist mit dir, Guido? Ist dir schlecht? Warum liegst du am Boden?“
Guido sah sie verwundert an. „Aber Mama! Ich überlege bloß, wie man auf dem Zahnfleisch gehen kann. Also, ich kann's mir nicht vorstellen. Ich würde es nicht zusammenbringen“.
Und dann: „Ist es eigentlich noch weit bis zum Gasthaus, Mama? Es ist so langweilig hinter euch her zu trotten Der Papa redet nur mit dem Onkel Leo und du tratschst mit der Tante Lena. Nein, mir ist nicht schlecht, noch bin ich müde. Mir ist bloß fad!“
© Peter Weinberger 2015