Torchére, Detail, Gips und vergoldetes Holz, französisch, 19. Jahrundert
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Sarah: Wir sind heute zusammengekommen, um endlich gemeinsam eine Resolution bezüglich der uns betreffenden Geschichtsverfälschungen zu verfassen. Ich freue mich, daß unsere Jüngste, nämlich die Tamara, sich bereit erklärt hat, das Protokoll zu führen. Ich bin allerdings nicht ganz sicher, ob sich wirklich alle kennen, da wir seinerzeit zum Teil verschiedenen Generationen angehört haben. Also, bitte immer der Reihe nach: Sagt euren Namen und erklärt kurz den Familienzusammenhang, obwohl wir – wie wir alle wissen – ein- und derselben Familie angehören. Ich fang’ gleich bei mir an: Ich heiße Sarah und war die Frau des Abraham.
Rebekka: Also, ich bin die Rebekka, die Schwiegertochter der Sarah, vor langer, langer Zeit mit dem Isaak verheiratet.
Lea: Mein Name ist Lea, ich bin die Schwester von der Rahel, die neben mir sitzt. Wir, die Rahel und ich, sind beide Schwiegertöchter der Rebekka, da – wie vielleicht allgemein bekannt sein dürfte – ihr Sohn Jakob uns beide zur Frau genommen hat.
Rahel (steht stumm auf und zeigt sich)
Dinah: Ich bin die Dinah und offensichtlich die einzige hier, die mit fast allen von euch direkt verwandt ist. Lea ist meine Mutter, Rebekka meine Großmutter und so ist Sarah meine Urgroßmutter. Auf Beziehungen zu Männern komme ich hoffentlich noch später zu sprechen.
Tamara: Und ich bin die Tamara und eigentlich kaum mit euch verwandt. Wäre es nach Plan gegangen, dann wäre wahrscheinlich Dinah eine angeheiratete Tante gewesen. Mehr will ich jetzt nicht sagen. Ich freu’ mich sehr, daß ich mich zu euch rechnen darf.
Sarah: Ihr erinnert euch vielleicht, daß man mir bis heute nachsagt, ich hätte seinerzeit durch viele Jahre hindurch keine Kinder empfangen können und hätte letztlich nur auf wunderbare Weise einen einzigen Sohn, den Isaak, geboren. Ich kann euch allen versichern, es lag weder an einem Wunder, noch an meiner Unfähigkeit, schwanger zu werden. Mein Mann, der Abraham, mit dem ich damals aus einem anderen Land eingewandert bin, hat nämlich das Gebot ʻGehet hin und mehret euchʼ, das ihm – so behauptete er jedenfalls immer – mehrmals im Traum aufgetragen worden ist, auf sich persönlich bezogen aufgefaßt.
Meine Dienerin, die Hagar, die übrigens eine sehr fesche Person gewesen ist, und ich haben Mühe gehabt, ihn gelegentlich in unser Zelt zu locken. Wahrscheinlich hat er geglaubt, es reiche, meine Mitgift, eine große Schafherde, mit seiner Herde zu vereinen. Dabei haben die Hagar und ich wirklich alles versucht, ihn an uns zu interessieren. Wir sind hüllenlos vor ihm herumgetanzt, haben zu seinem Wohlgefallen gegenseitig an uns gespielt, jedoch das Einzige, das dann geschah, war, daß er von Zeit zu Zeit die Hagar bestiegen und mir dabei gnädig die Hand gehalten hat.
Ihr könnt mir glauben, ich bin damals schon wild entschlossen gewesen, mich von irgendeinem beliebigen Schafhirten besamen zu lassen. Die Tatsache, daß ich dann doch noch von ihm schwanger wurde, verdanke ich in einem kleinen Streich, den wir ihm gespielt haben. Wir haben ihm nämlich zum Spaß die Augen verbunden und ihn raten lassen, welche Frau er eben benütze, wobei ich mich als Hagar ausgegeben hab’.
Ich muß leider zugeben, daß ich den Issak, mein einziges Kind, viel zu sehr verwöhnt hab’. Mit der Zeit hat er nämlich tatsächlich geglaubt, es reiche, mit den Fingern zu schnalzen und schon werde alles Unangenehme oder Anstrengende von einer der ihn umgebenden Frauen erledigt. Ich weiß, die Rebekka, meine Schwiegertochter, kann ein Lied davon singen.
Übrigens, ab dem Zeitpunkt von Isaaks Geburt hat mein Mann sich nicht mehr in mein Zelt gewagt. Wahrscheinlich hat er geglaubt, daß ich mich in seinen ohnehin unbedeutenden Handel mit Schafen einmischen werde, da ja ein großer Teil unserer Herde im Prinzip mir gehörte.
Tamara: Und dann, Sarah? Was geschah danach? Du bist doch, wie man sagt, vor ihm aus der irdischen Welt gegangen.
Sarah: Stellt euch vor, er soll dann noch einmal geheiratet haben. Ketura, hab’ ich gehört, nannte sie sich. Mit der soll er angeblich noch vier Söhne gezeugt haben. Wie das allerdings in seinem weit fortgeschrittenen Alter geschehen konnte, davon hab’ ich keine Ahnung. Vermutlich hat ihn jene Ketura, weil er schon so alt und gebrechlich war, nicht mehr aus ihren Zelt weggehen lassen, und er hat ihr, wenngleich mühsam, bloß aus Langweile zu Söhnen verholfen.
Ich möchte festhalten, daß es, ohne zu hinterfragen, ob nicht auch andere Umstände zutreffen können, es offensichtlich bis heute üblich ist, jede Art von Nachwuchsversagen ausschließlich uns Frauen anzulasten. Aber jetzt, meine Lieben, seid ihr dran. Bitte vollkommen zwanglos und nicht unbedingt entsprechend der Generationenabfolge.
Lea: Also, wie ich schon gesagt hab’, waren meine Schwester und ich mit ein- und demselben Mann verheiratet, nämlich mit einem Sohn von Rebekka. Und zwar gleichzeitig und nicht hintereinander, wie man vielleicht annehmen könnte. Heute würde man sagen: Es war eine ménage à trois, obwohl er meistens nur mich bestiegen hat. Dabei ist meine Schwester viel schöner als ich. Schaut sie nur an! Sie ist hochgewachsen, hat wunderschöne lange Haare, einen äußerst anziehenden, ebenmäßigen Körperbau und Brüste wie ein junges Mädchen. Ich dagegen muß mit einem kleinen Buckel leben, meine Brüste hängen herab wie die Zitzen einer Ziege, mein Gesicht kann ich selber nicht ausstehen. Als kleine Kompensation dafür hat mich die Natur allerdings mit einem Unterleib ausgestattet, der jeden Mann in Entzücken versetzen hätte können. Nach mir hat es höchstens ein erschöpftes Abfallen von meinem Körper gegeben, da vorher mein Schoß jegliche verbliebene Kraft abgepumpt hat.
Arme Rahel! Sie hat zuschauen müssen, wie er mir jedes Jahr ein weiteres Kind angehängt hat. Nur wenn es überhaupt nicht mehr ging oder wenn ich unpäßlich war – was ihn meistens nicht abgehalten hat – hat er sich auch mit ihr vergnügt. Dein Schoß ist nur ein großes Loch, in das man hineinfällt, hat er sie stets herabwürdigend und beleidigend beschimpft.
Ich habe insgesamt 15 Kinder geboren, wovon 13 am Leben geblieben sind. Leider war nur ein einziges Mädchen darunter, nämlich die Dinah, der ich, im nachhinein gesehen, in Anbetracht der riesigen Bubenschar, viel zu wenig Aufmerksamkeit schenken konnte. Sie ist wie ein Bub aufgewachsen und war eigentlich, jedenfalls soweit ich mich erinnern kann, genauso wild wie alle anderen.
Rahel: Es ist wirklich nicht schön, sich immer wie das fünfte Rad am Wagen zu fühlen. Ich habe jahrelang enttäuscht und zu tiefst erniedrigt mitansschauen müssen, wie die Kinderschar meiner Schwester gewachsen und gewachsen ist. Meine beiden Buben hab’ ich erst auf die Welt gebracht, als – verzeih, Lea –ihre sexuellen Fähigkeiten in Folge der vielen Geburten nachgelassen hatten und er zu bequem war, sich eine Konkubine zuzulegen.
Wahrscheinlich war meine ständige Herabwürdigung und Kränkung auch der Grund, warum meine Buben genauso schüchtern und so wenig selbstbewußt geworden sind wie ich. Von Leas Kindern wurden sie immer abgelehnt. Wir, meine Kinder und ich, waren fast so etwas wie eine kleine Unterfamilie, um die sich der Rest des Familienverbands kaum gekümmert hat. Nur meine Schwester – trotz ihrer steigenden Kinderschar – stand uns immer zur Seite. Wie schon Lea erzählt hat, zeigte Jakob, nachdem er mich entjungfert hatte, sehr wenig Interesse an mir. Vermutlich wollte er mich nur für andere entwerten. Zwar liebte er es, an meinem Busen herumzufummeln, aber zu viel mehr kam es selten. Für ihn war ich im Grunde genommen lediglich die Schöne, mit der man den Neid der Nachbarn erregen konnte.
Wir drei, meine Kinder und ich, haben jedenfalls sehr zurückgezogen gelebt. Ein bißchen hab’ ich mich um die Dinah angenommen, weil ich das Gefühl gehabt hab’, sie werde genauso wenig beachtet wie ich. Erinnerst du dich noch, Dinah, wie oft du weinend zu mir gekommen bist? Ich hab’ mir übrigens damals immer gewünscht, einmal Jakobs Bruder kennenzulernen, da viele, die ihn kannten, behauptet haben, er habe mit all seinen Frauen ein gleich gutes Verhältnis gehabt und sei angeblich sehr stolz auf seine Töchter gewesen.
Dinah: Natürlich erinnere ich mich daran, daß ich immer zu dir kommen konnte. Du warst die Einzige, die sich Zeit für mich genommen hat. Wie oft bin ich als kleines Mädchen auf deinem Schoß gesessen, du hast mir die Haare gebürstet und mir Geschichten erzählt. Für mich warst du immer die schöne Tante, die Schöne, von der alle gesprochen haben. Und ich war stolz auf dich, auf meine Tante. Noch heut’ möchte ich gelegentlich zu dir zum Kuscheln kommen, um mir die Tränen wegblasen zu lassen. Ich hab’ damals natürlich nicht verstanden, wie es mit dir und meinem Vater stand, da er doch überall, auf allen Marktplätzen und bei sämtlichen Nachbarn mit deiner Schönheit geprahlt hat.
Für meine Brüder war ich anfangs so eine Art Bub, der nicht im Stehen pinkeln konnte. Zuerst haben sie mich deswegen gehänselt und danach einfach ignoriert, wenn ich mich wieder einmal irgendwo hinhockerln mußte. Darauf Rücksicht zu nehmen, ist ihnen nicht eingefallen, denn ihre Spiele widerspiegelten stets nur die Männerwelt. Man hatte stark zu sein und sich abfällig über die Weiberwelt zu äußern. Was mich am meisten gestört hat, war, daß die beiden Ältesten uns herumkommandiert haben, als wären wir ihre Diener. Und ich als Halbbub wurde immer geschickt, dieses oder jenes zu holen oder bei den Erwachsenen um irgendwelche Vergünstigungen anzufragen, denn dafür waren sie nämlich alle zu feig.
Das alles hat sich erst geändert, als viele von ihnen ins Pubertätsalter gekommen sind und die Älteren unter meinen Brüdern entdeckt haben, daß ich eigentlich ein Mädchen war. Plötzlich hatte sich meine Rolle gewandelt: Ich wurde von ihnen als Schauobjekt überall betastet. Sie hoben meine kleinen Brüste und ließen sie wieder fallen, unheimlich amüsiert über deren elastische Nachschwingungen. Bald verging kein Tag, an dem nicht irgendeiner von ihnen an meiner Spalte herumfingerte oder mir sein Glied hinhielt, um ihn zu erleichtern. Irgendwie schien es ihnen selbstverständlich zu sein, daß ich ihnen dazu zur Verfügung zu stehen hatte. Und ich konnte mich nicht dagegen wehren, denn wen sollte ich schon um Hilfe bitten? Meine Mutter, die keine Zeit für mich hatte? Rahel, die zu Hause von meinem Vater bloß belächelt wurde?
Eines Tages ging es zu weit: Wir haben uns weit abseits unseres Hauses befunden. Wie verabredet, haben sie mich auf einmal mit dem Rücken auf den Boden gepreßt. Die Jüngeren unter ihnen haben mir die Arme gehalten und die Beine gespreizt, so daß mich die beiden Ältesten mühelos vergewaltigen konnten. Nach ihnen sind alle anderen drangekommen. Alle zwölf habe mich der Reihe nach mehrmals mißbraucht. Erst als sie bemerkten, daß Blut aus meinem Unterkörper über meine Beine fließt, sind sie feig davongelaufen. Lediglich Joseph, Rahels ältester Sohn, damals ein kleiner Bub, der wie immer uns nachgeschlichen ist, hat alles mitangesehen. Als er bemerkte, daß ich hilflos am Boden lag, zerfurcht von meinen eigenen Brüdern, lief er zu mir, hat mir vorsichtig zunächst mit Hilfe seiner Wasserflasche das Gesicht befeuchtet und dann mit seinem Kopftuch das Blut von meinen Beinen abgewischt.
Die anderen haben natürlich bemerkt, daß er zu mir gekommen ist, um Hilfe zu leisten. Vor allem haben sie ganz genau gewußt, was eigentlich geschehen ist, schließlich waren die beiden Ältesten schon fast erwachsen. Und weil sie sich vor dem Zorn unseres Vaters fürchteten, haben sie danach alles auf den Sohn unseres Nachbarn geschoben. Alle Männer in unserem Haushalt sind daraufhin wie die Racheengel über unsere Nachbarn hergefallen und haben jeden einzelnen, Mann oder Frau, wegen der Schändung der Tochter ihres Stammesführers erschlagen. Weil sie, meine Brüder, außerdem befürchtet haben, daß der Joseph irgendwann doch mit der Wahrheit herausrücken würde, haben sie ihn – wie ja in der Zwischenzeit bekannt sein dürfte –nach einiger Zeit als Sklaven an Wanderhändler verkauft.
Mich hat mein Vater fast halbtot geprügelt. Immer wieder hat er mich angeschrieen, daß zu einer Vergewaltigung immer zwei gehören. Seine ganze Wut hat er an mir ausgelassen. Ich wurde auf seine Anweisung hin aus der Familie ausgestoßen. Mit der Begründung: Für Huren gebe es keinen Platz in seinem Haus.
Nur Rahel konnte mich für einige Tage bei sich verstecken. Sie hat mir dann alles mitgegeben, das sie besessen hat, und mir den Rat gegeben, mich weit weg von uns in die Obhut von ihr wohlgesinnten Verwandten zu begeben. Um meine Identität zu beweisen, legte sie mir ein besonderes Amulett um den Hals. Geh, Mädel, höre ich sie noch immer besorgt sagen, geh und viel Glück in der Fremde. Wenn du klug bist, erzählst du niemandem, daß man dich gewaltsam entehrt hat, sonst wirst du nie jemanden finden, der dich zur Frau nimmt.
Ich habe mich an ihre Worte gehalten, denn dort in der Fremde lernte ich nach einiger Zeit einen Mann kennen, der mich als Frau und Arbeitstier aufgenommen hat. Gemeinsam haben wir mit ein paar Schafen und Ziegen viele Jahre hindurch ein Leben in Armut geführt.
Bis ich allerdings dort, weit weg von meiner Heimat, angekommen war, hat sich mein Leben als die reinste Hölle erwiesen, da anfangs das Gerücht, da kommt die Entehrte, die Hure, mit mir gereist ist. Überall wurde ich von Männern belästigt, die glaubten, sich bei mir alle Freiheiten erlauben zu können. Gelegentlich lauerte mich sogar eine Gruppe von ihnen auf, um sich meiner gewaltsam zu bedienen.
Von meinen Brüdern hab’ ich nie wieder etwas gehört, nur die Nachricht, daß mein Halbbruder Joseph auf geheimnisvolle Weise verschwunden oder ums Leben gekommen sei, kam mir nach vielen Wochen zu Ohren. Ich habe damals sofort vermutet, daß meine Brüder dafür verantwortlich sind, weil sie den einzigen Zeugen ihres Übermuts loswerden wollten. Dort in der Fremde hab’ ich übrigens einen Knaben geboren, dessen Vater einer meiner Brüder gewesen sein muß. Dieses Kind hat in der Folge mein späterer Mann als Sohn adoptiert.
Das war’s, was ich berichten kann. Nicht sehr erfreulich, gebe ich zu, auch weil Lea, meine Mutter, von all dem nichts erfahren durfte. Kein Grund, Mama, jetzt darüber zu weinen, und auch du nicht, Rahel. Deine Vermutungen über die volle Wahrheit, Joseph und mich betreffend, haben sich leider nie bestätigen lassen.
Tamara: Dazu paßt mein Beitrag wunderbar, obwohl in meinem Fall die Geschichtsschreibung die tatsächlichen Begebenheiten halbwegs richtig wiedergibt. Die selben Männer, die seinerzeit Dinah ins Unglück gestoßen haben, haben auch meine Rechte als Frau schändlich mißachtet. Ich bin sicher, ihr habt alle davon gehört, wie ich mich damals als Hure verkleidet an den Juda herangemacht hab’ und ich mich, so sehr mir auch vor ihm geekelt hat, weil er ein häßlicher, verdreckter und verlauster Kerl war, von ihm hab’ schwängern lassen. Da er bereits etwas betagt war, ist er danach sofort in Tiefschlaf versunken. Ich hab’ ihm daraufhin all seine Sachen abgenommen und bin, ihn in seinen befleckten Unterhosen zurücklassend, verschwunden.
Ein Jahr später bin ich aus meinem Versteck aufgetaucht, nämlich nachdem mein erstes Kind geboren war und die ersten paar Monate bestens überstanden hatte. Mit Hilfe seines Siegelrings und seines Knotenstocks konnte ich in aller Öffentlichkeit beweisen, daß Juda der eigentliche Vater meines Kindes war. Damals haben alle Richter im Land mir zugestimmt, daß Juda sich nicht über mündlich gegebene und schriftlich vereinbarte Heiratsversprechen einfach hinwegsetzen dürfe, insbesondere da er das ausgedehnte Grundstück, das mir als einziger Erbin zugestanden ist, seelenruhig als meine Mitgift seiner Familie einverleibt hat. Ich hätte damals – die Details will ich euch ersparen – nämlich einen seiner Söhne heiraten sollen.
Ich hab’ mich seinerzeit gegen die unverschämte Verletzung meiner Rechte gewehrt. Ich hab’ mich nicht eingefügt, nur weil ich eine Frau war. Ich hab’ mit dem einzigen Mittel, das mir damals zur Verfügung gestanden ist, nämlich mit meinem Körper, gegen offensichtliches Unrecht angekämpft. Ihr könnt mir glauben, nach dem ekligen Juda hab’ ich sehr lang mit keinem Mann zusammensein können. Selbst Jahre danach bin ich noch aus Alpträumen aufgewacht, in denen unappetitliche alte Männer mit meinen Brüsten gespielt haben.
Rebekka: Ich glaub’, ich bin die einzige Familienunbeschädigte unter euch. Ich war nämlich immer schon, sogar als Kind, selbstbewußt und hab’ mich nie, selbst von meinen Vater nicht, einschüchtern lassen. Als man mich mit Isaak, mit Sarahs Sohn, der übrigens als junger Mann recht fesch ausgeschaut hat, verheiratete, hab’ ich von Anfang an das Kommando in der Familie übernommen. Das hat sich übrigens fast automatisch ergeben, da der Isaak, wie schon Sarah angedeutet hat, sich als Waschlappen erwiesen hat. Ihm ging es lediglich um seine eigene Bequemlichkeit, und dazu gehörte auch, daß er sich um nichts zu kümmern hatte.
Nachdem ich Zwillinge geboren hatte, zwei Buben, hab’ ich ihm klipp und klar mitgeteilt, daß ich kein weiteres Kind haben möchte und er sich für seine Bedürfnisse gefälligst eine andere Frau suchen möge. Du kannst ruhig wie dein Vater jedem Kittel nachlaufen, hab’ ich zu ihm gesagt, sofern du mich in Ruhe läßt. In meinem Zelt hast du jedenfalls nichts mehr verloren. Statt sich mit mir zu streiten und seine ehelichen Rechte an mir geltend zu machen, hat er nur ein ʻVon mir ausʼ erwidert. Selbst zum Streiten war er zu bequem. Mit wem er in der Folge seine Nächte verbracht hat, hat mich nie interessiert, genauso wenig wie die Frage, wie viele Bastarde daraus entstanden sind.
Was mich allerdings traurig stimmte, waren die ewigen Streitereien zwischen meinen Söhnen. Selbst um die unwesentlichsten Dinge wurde pausenlos gekämpft. Später dann, als die beiden bereits fast erwachsen waren, haben sie gelegentlich ihren Vater besucht. Damals war er schon ziemlich vergreist und hat kaum noch verstanden, was sie ihm erzählt haben. Im Alter ist er nämlich stocktaub gewesen.
Obwohl ich mich, wie ich schon sagte, durch die Familie unbeschädigt fühle, schließe ich mich euch selbstverständlich an. Auch weil ich mich für jegliches von meinen Nachfahren verursachte Leid mitverantwortlich fühle.
Sarah: Hervorragend! Ich glaub’, unser Treffen ist sehr erfolgreich verlaufen, weil wir sechs Frauen den Mut aufgebracht haben, ganz offen über uns selber zu sprechen, weil wir nun ziemlich genau wissen, was unsere Resolution enthalten muß. Ich hoffe, Tamara, du hast alles brav mitgeschrieben. Da sind zunächst einmal die Geschichtsverfälschungen, für deren Berichtigung zu sorgen ist. Vor allem aber müssen die Lehren, die sich aus den Berichten von Lea, Rahel und Dinah ergeben, festgehalten werden. Und allen Frauen, die unsere Namen tragen, muß klargemacht werden, welche Geschichten eigentlich hinter ihren Namen stecken. Ich, eure erste Vorfahrin, dank’ euch allen für euer Kommen. Bis zum nächsten Mal!
© Peter Weinberger 2015