Fünf Frauen im Halbkreis

   
   

Stehende Frau, Keramik, Olmeca Kultur, Mexiko, 9.-12. Jahrhundert v.u.Z.

   
   
   
   
   

 
 
 
Streik der Furien
 
     
Zykladische Kultur,
etwa 3000 v.u.Z.
   

Furie 1: Also, so geht’s nicht mehr weiter! Wohin wir auch kommen, die Leute nehmen uns überhaupt nicht ernst. Manches Mal werden wir sogar ausgelacht.

Furie 2: Ich befürchte, die Zeiten, in denen wir, die Rachegöttinnen, Furcht und Schrecken verbreiten konnten, sind endgültig vorbei. Erinnert euch nur: Richtige Familientragödien haben wir seinerzeit ausgelöst.

Furie 3: Und was schlagt ihr beiden vor? Sollen wir uns einmotten lassen? Oder in einem Heim für betagte Künstler um Aufnahme ersuchen?

Furie 1: Wenn ihr mich fragt, dann liegt es daran, daß die Leute wesentlich abscheulichere Gestalten in Filmen oder Animationsspielen sehen, als wir es jemals sein könnten.

Furie 4: Wir könnten zum Beispiel Dienst nach Vorschrift machen. Wohin man uns auch schickt, dort lassen wir uns einfach unerledigte Hausbesuche schriftlich bestätigen, schreiben einen Bericht an unsere vorgesetzten Behörden und gehen statt dessen spazieren oder in ein Kaffeehaus. Dort gibt es garantiert genügend häßliche Leute. Dort werden wir kaum auffallen.

Furie 5: Das ist natürlich eine sehr bequeme Lösung. Aber selbst wenn wir uns entschließen zu streiken, fällt das leider niemandem auf. Keine einzige Seele wird uns vermissen.

Furie 2: Es ist deprimierend! Das letzte Mal hatte ich meine gräßlichste Maske angelegt. Selbst das Haupt einer Gorgone mit all den Schlangen statt Haaren ist dagegen schön. Stundenlang bin ich um den Mann geflattert, der sich bis jetzt standhaft weigert, Alimente für seine Kinder zu zahlen. „Verschwind, du alte Funsen!“, hat er zu mir gesagt „für die Alimente sorgt eh der Staat. Von mir is’ höchstens mit einer Taschenpfändung was zu holen.“  Das hat mich ziemlich betroffen gemacht. Vor Angst haben mir die Beine gezittert, und mein falsches Giftzahngebiß hat gewackelt.

Furie 3: Wir könnten uns natürlich auch modernisieren und auf „emails“ und soziale Medien umsteigen. Mit jeder Email könnten wir ein ganzes Bouquet von Viren mitschicken. Richtige Greuelmärchen über bestimmte Personen in den sozialen Medien zu verbreiten, sollte uns nicht schwer fallen. Kinderschänder, Nutznießer von Korruption, Gewalt in der Familie, wir können auf vieles zurückgreifen. Wenn ihr Computer steht, lernen sie vielleicht dann das Fürchten wieder. Ein von Viren versauter Computer ist wahrscheinlich für viele eine ärgere Strafe, als mit Pest und Cholera geschlagen zu werden. Leider hat sich das Drohen mit der ewigen Verdammnis in den letzten 2000 Jahren erübrigt, da fast alle Sünden weggebeichtet werden können. Also, was meint ihr? Was so mancher ihrer Geheimdienste kann, das können wir schon längst und noch dazu viel besser, denn wir haben Zugang selbst zu jenen Orten, die nicht mit Überwachungskameras abgetastet werden können. Kein einziges Bit kann sich vor uns verstecken. Greuel brauchen wir nicht zu verbreiten, dafür sorgen sie schon selber, aber ihre geliebten „smart phones“ lahmzulegen, sollte uns ein Vergnügen sein. Ein bißchen Feuchtigkeit da und dort zu hinterlassen, ist keine Kunst. Und Datenspeicher permanent zu entladen oder ununterbrochen neu zu formatieren auch nicht. Ich bin sicher, so etwas wäre für uns fünf sinnvoller, als einfach aufzugeben.

Furie 2: Also, wenn du glaubst, daß das so einfach geht, dann bin ich auch dafür. Einmotten, wie du gemeint hast, will ich mich nicht lassen. Am Anfang wird  uns der Abschied von unseren gewohnten Requisiten schon ein wenig schwer fallen. Mir persönlich würde es leid tun um meine schönen Giftzähne, aufklebbaren Warzen und Lepraflecken für meine Beine.

Furie 1: Dein Vorschlag klingt verlockend, allerdings müssen wir unbedingt unsere griechischen Kolleginnen, die Erinnyen, von unseren Plänen unterrichten. Sie sind zwar nur zu dritt, die Alekto, die Megeira und die Tisiphone, aber vielleicht gerade deswegen nicht leicht zu überzeugen. Es kann uns aber genauso gut passiere, daß die Megeira wieder einmal behauptet, sie habe solche Ideen schon längst gehabt, nur wir Landpomeranzen hätten es nicht begriffen. Egal wie, ich stelle hiemit den Antrag, unsere Tätigkeit auf den letzten Stand der Technik zu heben und auf die bisherigen Einschüchterungsmittel zu verzichten. Gegenantrag? Gegenstimmen? Keine, das ist wunderbar, denn damit ist der Antrag einstimmig angenommen.

Furie 5: Also dann, Mädel, zeigt, was ihr könnt! Und wenn die Erinnyen dagegen sein sollten, dann sollen sie sich halt selber etwas überlegen. Die tun ohnehin immer so oberg’scheit, geradeso, als ob sie etwas Besseres wären. Zeigen wir es ihnen! Wenn’s nicht gutgeht, ich meine, wenn die ganze elektronische Schose nicht mehr funktioniert, dann können wir immer noch in einen sinnlosen, unbefristeten Streik treten oder uns von einem Wanderzirkus als Clowntruppe engagieren lassen.

Für eine Zeitlang berichteten die Medien über den Ausfall von Tausenden von „smart phones“ und unzähligen gelöschten Festplatten. Diesbezügliche Meldungen verschwanden allerdings sehr rasch wieder, denn diese Störungen führten nur zum Verkauf entsprechender neuer Geräte und zu unerwarteten, höchst profitablen Produktionssteigerungen.


  ©  Peter Weinberger 2015