Drei Frauen im Halbkreis

   
   

Kauernde Frau, Mexico, um 1000 v.u.Z.

   
   
   
   
   

 
 
 
Courbets „Drei Badende“
     
Stehende Frau. Elfenbein,
7. Jahrhundert v.u.Z., Kreta
   

Die „Drei Badenden“, die Courbet in den Jahren 1865–1868 gemalt hat, erregten keineswegs jenes öffentliche Ärgernis, das sein Bild „Der Ursprung des Lebens“ verursacht hat. Courbet war ein Verfechter, vielleicht sogar der Initiator eines fast photographischen Realismus und als solcher fasziniert von allen Facetten eines weiblichen Körpers, wobei einige der von ihm gezeigten Stellungen oder Szenen so manchem Betrachter natürlich als „anstößig“ vorkommen mußten. Die beiden „Badenden“ aus dem Jahre 1858 und sein Bild „Die Schläferinnen“, gelegentlich auch „Trägheit und Wollust“ (1866) genannt, letzteres zwei eng miteinander verschlungene nackte Frauen zeigend, stehen ähnlich arrangierten Bildern bzw. Zeichnungen von Egon Schiele oder Gustav Klimt an Eindeutigkeit nicht nach. Courbet malte seine Akte allerdings in der Zeit zwischen 1845 und 1870 und damit fast ein halbes Jahrhundert vor Klimt und Schiele.

Obwohl bereits „Die Frau mit den weißen Strümpfen“ aus dem Jahre 1862 einen sehr freizügigen Einblick in den weiblichen Genitalbereich gestattet, war es vor allem „Der Ursprung des Lebens“ (1866) – ein Akt ohne Kopf, eine vollentblößte Pelvis in allen Details präsentierend – der moralischen Unmut erregte und in der Folge zu einer bizarren Ausstellungs- und Eigentümergeschichte dieses Werks führte. Es ist erst seit 1991 im Pariser Musée d’Orsay permanent ausgestellt und damit öffentlich zugänglich.

Mit den „Drei Badenden“ hat es ein ganz besondere Bewandtnis: Im Zentrum des Bildes steht eine nackte Frau bzw. lehnt sie sich an einen Felsen an. Die rechte Hand ist erhoben und scheinbar hinter ihren Kopf gelegt. Mit einer Zehenspitze berührt sie einen flachen Felsen in einer Grotte oder in einem Tümpel. Gehalten wird sie vermutlich von der sich vorbeugenden, noch bekleideten Frau hinter ihr. Rechts vor ihr sitzt, vom Betrachter halb abgewandt, eine nackt Badende mit langen blonden Haaren. Von ihr sind nur der Rücken samt Gesäß und eine Brustspitze sichtbar.

Bei näherer Betrachtung scheint die im Zentrum des Bildes eine recht ungewöhnliche Körperhaltung einzunehmen, nämlich eine, die nicht so recht in die fast militanten Realitätsanforderungen Courbets paßt. Dreht man das Bild jedoch um etwas weniger als 90 Grad nach rechts, dann wird offensichtlich, daß diese Badende eigentlich einen liegenden Akt darstellt. Auch die Richtung, in die ihre linke Brust zeigt, deutet auf eine solche Anordnung hin und erklärt vielleicht ihren nicht sichtbaren, hinter den Kopf geschobenen, rechten Arm.

Aber das ist nicht das einzige Merkwürdige an diesem Bild: Das Gesicht dieser Frau und das der hinter ihr Stehenden weisen sehr ähnliche Züge auf, geradeso, als ob es sich um ein und dieselbe Person handelte. Beide haben lange, schwarze Haare, das Gesicht selbst scheint ein wenig flach zu sein. Unter der Voraussetzung, daß es sich tatsächlich um dasselbe Modell handelt, dann wären eben nur zwei Frauen in diesem Bild dargestellt, eine eben zweimal.

Die mit den langen, schwarzen Haaren könnte auch für andere Akte Courbets Modell gestanden sein und zwar für die Bilder „Femme nue couchée“ und „Femme endormie“. Der Aufbau in beiden Bildern ist fast derselbe: Eine nackte Frau, ausgestreckt auf einer Chaise-longue. Die Pose in diesen Akten entspricht ziemlich genau der um etwa 90 Grad gedrehten nackt Badenden. Diese Schwarzhaarige muß Courbet fasziniert haben, denn in dem Bild „Le Sommeil“, das etwas schwülstig zwei entblößte Frauen in enger Umarmung zeigt, findet sich ihr Gesicht wieder. Die andere scheint Joanna Hiffernan gewesen zu sein.

Joanna Hiffernan, „La belle irdlandaise“, war das Aktmodell und zugleich die Muse des vorzugsweise in Frankreich lebenden amerikanischen Malers Whistler und – allen vorhandenen schriftlichen Beschreibungen nach – eine ungewöhnlich schöne Frau mit langem, gewellten Haar. Ab 1866 ist sie u.a. mit Courbet befreundet und hat wahrscheinlich ein Verhältnis mit ihm gehabt.

Von ihr fertigte Courbet nicht nur ein Portrait an, sie diente ihm auch als Modell für einige seiner Akte, wie eben auch für das Bild „Le Sommeil“ und vielleicht auch für das Bild „Die Frau in den Wellen“, ein Brustbild im ursprünglichsten Sinne des Wortes. Daß sie das Modell für den „Ursprung des Lebens“ sein könnte, wie vielfach bereits behauptet wurde, läßt ein 2013 aufgefundenes, im Stile Courbets angefertigtes Bild des Kopfes einer Frau mit gewelltem Haar vermuten, von dem behauptet wurde, es sei der fehlende Teil des „Ursprungs der Welt“. Joannas Freundschaft bzw. das Verhältnis mit Courbet bahnte sich übrigens vermutlich im Zuge einer mehrmonatigen Abwesenheit Whistlers von Paris an. Mit ihm war Joanna für einige Jahre fix liiert.

Bleibt die Frage offen, ob jene blonde Frau in den „Drei Badenden“, von der nur ein Rückenakt gesehen werden kann, als Modell auch in anderen Akten oder Halbakten Courbets anzutreffen ist. Die Bilder „Die Frau mit den weißen Strümpfen“ oder die „Badenden“, zwei Frauen darstellend, eine als Akt, die andere mit weitgeöffnetem Kleid, lassen solches zumindest vermuten.

Es ist durchaus möglich, daß vor allem eine unbekannte Schwarzhaarige, eine ebenfalls unbekannt gebliebene Frau mit langem, blonden Haar und natürlich Joanna Hiffernan Courbet zu seinen Aktbildern inspiriert haben. Ohne diese drei Aktmodelle wären einige der berühmtesten und zugleich umstrittensten Werke europäischer Malerei nicht entstanden. Vielleicht blieben die Namen der beiden Unbekannten deshalb in Verborgenheit, weil, dem moralischen Selbstverständnis zu Courbets Zeiten entsprechend, Aktmodelle mit Huren gleichgesetzt worden sind.


©  Peter Weinberger 2015