Drei Frauen, Südosteuropa, 5000-3500 v.u.Z.
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Es ist schon ein merkwürdiger Haushalt, in dem sie leben: Eine aus drei Frauen bestehende Familie. Die Großmutter, Frau Toni, die mit ihren 64 Jahren so manche wesentlich Jüngere in den Schatten stellen kann, sorgt für den Haushalt und für den familiären Ablauf. Ihre Tochter Hanna, von Beruf aus Mittelschullehrerin für Deutsch und Geschichte, zeichnet für das Einkaufen verantwortlich, während deren Tochter Laura, eben 18 Jahre alt geworden, nur eine einzige Pflicht hat, nämlich ihre Matura mit Erfolg zu bestehen. Die Bezeichnungen Oma oder Mama haben die drei schon längst aufgegeben, auch, um angestammte Autoritätsverhältnisse zu vermeiden, um ein Zusammenleben als gleichberechtigte Partnerinnen zu ermöglichen: Sie sprechen sich einfach mit ihren Vornamen an.
Zum Glück gestatten die Wohnverhältnisse – eine ziemlich große Wohnung mit entsprechenden Nebenräumen – ein weitgehend konfliktfreies Zusammenleben. Um den Engpaß in der Früh zu beseitigen, haben sie schon vor Jahren ein zweites Badezimmer einrichten lassen, da ja Hanna und Laura unter der Woche etwa zur selben Zeit in der Früh das Haus verlassen müssen. Laura kann sich daher vor dem Weggehen beliebig lang die Haare kämmen, während Hanna sich für die Schule fertig macht.
Jede von ihnen hat ihr eigenes, vom Vorzimmer betretbares Zimmer, das für die jeweils anderen absolut Tabu ist, für dessen Reinigung sie allerdings auch selber zu sorgen haben. Das gemeinschaftliche Leben spielt sich entweder in der Küche oder im großen Wohnzimmer ab. Dort gibt es einen abgetrennten Teil mit einem großen Eßtisch und eine umfangreiche Bücherwand hinter einer bequemen Sitzecke.
Von Montag bis Freitag steht Toni bereits um halb acht in der Früh mahnend bei der Eingangstür. „Jetzt geht’s endlich, Madeln, ihr werdet noch zu spät kommen“, drängt sie die beiden anderen, die ganz offensichtlich wieder einmal ein Schneckentempo an den Tag legen. Kaum sind die beiden draußen, geht sie in die Küche und stellt die Espressomaschine an. Dann setzt sie sich zu einem gemütlichen Frühstück, denn ihre beiden haben mit ihrem Herumtrödeln in der Früh kaum Zeit, nur einen einzigen Bissen hinunterzuwürgen.
Einmal in der Woche schleppt sie Staubsauger und Kübel durch die Wohnung und betätigt sich als Putzteufel. Die meiste Zeit geht dabei für die beiden Badezimmer auf, denn ihre Lieben halten recht wenig von Ordnung an solchen Orten. Immer liegt alles durcheinander, Cremedosen stehen offen an den unmöglichsten Plätzen herum, die Spiegel sind verschmiert, und die Handtücher weisen Spuren von Lippenstift auf. Am wenigsten Zeit muß sie für ihr eigenes Zimmer aufwenden. Ein bißchen Staubwischen, Saugen, und schon sieht alles wieder sauber aus.
Toni
Wir sind schon ein komischer Haufen: Drei Frauen, drei Generationen und keine dazugehörenden Männer. Meiner hat mich bereits 1969, kurz nach der Geburt von Hanna, verlassen. Er will sich in seinem Leben nicht einschränken lassen, hat er damals behauptet. Wahrscheinlich ist ihm nur die nächtliche Ruhestörung durch Hanna auf die Nerven gegangen. Er hat sich sehr bald danach nach Kanada abgesetzt und nie wieder etwas von sich hören lassen. Und ich bin dagestanden mit einem Kleinkind, für das ich zu sorgen hatte. Klarerweise keine Spur von Alimenten. Gott sei Dank bin ich damals als Buchhalterin in einer großen Steuerberatungsfirma nicht vor dem Nichts gestanden. Damals hat gerade die Kreisky-Zeit begonnen. Da ich 1946 geboren bin, sagt die Hanna immer, sind wir drei stellvertretend für die wesentlichsten Abschnitte in der Geschichte der Zweiten Republik. Sie muß es ja wissen, die Frau Doktor, schließlich hat sie auf der Uni Geschichte studiert.
Leicht war es allerdings nicht. Für Hanna und für mich. Immer bin ich in allerletzter Minute ins Büro gekommen, weil ich sie anfangs in den Kindergarten bringen mußte und dann, als sie bereits in die Schule gegangen ist, gleichzeitig mit ihr weggehen wollte. Und jedes Mal hat es mir das Herz zerrissen, daß ich sie so zeitlich aus dem Haus jagen mußte. Vom Weinen bei meinem Weggehen vom Kindergarten nicht zu sprechen. Aber Hanna war tapfer, sie hat sehr bald eingesehen, daß wir nur auf uns selber angewiesen waren: Sie hat ganz allein, ohne meine Mithilfe, die Mittelschule geschafft und anschließend sofort mit ihrem Geschichtestudium begonnen.
Geschichte hat sie schon immer interessiert. Bereits als Mittelschülerin hat sie mich mit Fragen gelöchert. Wie denn das mit den Besatzungstruppen gewesen ist, wie ich die Zeit bis zum Staatsvertrag erlebt hab’? Ununterbrochen! Ganz besonders interessiert hat sie die Zeit, in die sie selber hineingeboren worden ist: Der Aufschwung unter Kreisky, die langsame Veränderung in der Stimmung der Bevölkerung.
Ihr Interesse an Zeitgeschichte hat sie sogar in einem entsprechenden Thema für ihre Dissertation verwirklicht. Noch heut’ rennt sie zu jedem einschlägigen Vortrag auf die Uni. Wie eine Besessene sitzt sie viele Abende in ihrem Zimmer, das mit Büchern vollgerammelt ist, und liest bis tief in die Nacht hinein.
Nur mit Männern hat sie kein Glück gehabt. Es tut mir immer noch leid um den einen Kollegen von der Uni, den sie ein paar Abende angeschleppt hat. Der war eigentlich ganz nett, aber sie hat behauptet, er passe überhaupt nicht zu ihr, weil er vollkommen verschiedene politische Ansichten habe wie sie. Ein bißchen war sie schon immer eine Gefühlsstalinistin, meinte Hanna. Der Mann, der ihr schließlich den Kopf verdrehte und noch dazu geschwängert hat, erwies sich ziemlich rasch als richtiger Filou. Ich will gar nicht wissen, mit wie vielen Frauen er gleichzeitig ein Verhältnis gehabt hat. Noch jetzt, glaube ich, zahlt er Alimente für einige seiner unzähligen unehelichen Kinder. Und ausgerechnet auf den ist meine Hanna hineingefallen! Jetzt lebt er, höre ich, total verarmt und heruntergekommen in einer winzigen Wohnung in einem Außenbezirk, weil man ihm alle Einkünfte bis auf das Existenzminimum pfändet. Na ja.
Tatsache ist, daß sich die Hanna plötzlich in der gleichen Situation befunden hat wie ich seinerzeit, mit dem Unterschied allerdings, daß wir zu zweit waren und uns gemeinsam um Laura kümmern konnten. Als Mittelschullehrerin hat die Hanna natürlich bereits am Nachmittag Zeit für sie gehabt. Finanzielle Schwierigkeiten haben wir damals, Gott sei Dank, eigentlich keine gehabt, denn ich war in der Zwischenzeit zur Prokuristin avanciert und bezog ein recht anständiges Gehalt.
Ein sonderbares Gefühl ist es allerdings schon gewesen, mit dem Kinderwagen herumzuspazieren, schließlich war ich zu der Zeit knapp vierzig, also in einem Alter, in dem heutzutage Frauen noch Kinder bekommen. Im Park haben mich alle für Lauras Mutter gehalten. Keiner wollte mir glauben, daß ich bloß die Großmutter bin. Ein bißchen bin ich mir ohnedies wie eine zweite Mutter vorgekommen. Witzig war es anfangs in der Mittelschule, denn teilweise konnten Hanna und ich uns wegen unseres gleichen Familiennamens – ein unseliges Angedenken an meinen davongelaufenen Mann – bei Sprechtagen aufteilen.
Jetzt sind wir halt drei Frauen, die zusammen wohnen. Laura ist erwachsen und kann über ihr Leben selber bestimmen. Wir haben uns zum Glück genügend Freiräume geschaffen, um uns nicht pausenlos gegenseitig auf die Nerven zu gehen.
Manches Mal kann die Laura echt umwerfend sein. Als ich unlängst gerade aus der Dusche gestiegen bin, ist sie ins Badezimmer gestürmt, weil ich wieder einmal vergessen hatte zuzusperren. Zunächst hat sie mich, die ich da nackt vor ihr gestanden bin, für einen Moment entgeistert angeschaut, aber dann meinte sie trocken: „Alle Achtung, Toni, wäre ich ein Mann, würde ich dich sofort aufs Kreuz legen.“ Zu meiner Überraschung begann sie, sich auszuziehen, nahm mich bei der Hand und zerrte mich vor den großen Badezimmerspiegel.
„Also bitte, schau mich an! Kannst du mir nicht ein bißchen was von deinem Busen geben?“
Gegenüber meinem Vorbau ist der ihre verschwindend klein, mußte ich zugeben, halt so ein bißchen unter den Nippeln. Dafür hat sie zwischen den Beinen einen richtigen Urwald, während sich bei mir dort gerade ein bißchen Moos befindet. Es war verrückt: Da sind wir beide, Großmutter und Enkelin, nackt vor dem Spiegel gestanden und haben uns verwundert gegenseitig prüfend angeglotzt.
Schließlich habe ich zu ihr gesagt: „Also, wenn ich es mir so richtig überlege, dann schaust du ziemlich sexy aus. Ein aufregendes Hinterteil, und unter deinem Gestrüpp da unten gibt es sicherlich verborgene Schätze.“ Daraufhin hat sie gelacht, mich in dem Zustand, in dem wir gerade waren, umarmt und gemeint: „Du bist wirklich mein bester Kumpel, obwohl du eigentlich meine Oma bist und ich dich um deinen Busen beneide!“
Diese eigenartige Szene hat bewirkt, daß wir uns seitdem gegenseitig als Frauen betrachten und weniger als Verwandte. Eigentlich bin ich stolz auf sie, denn so ganz selbstverständlich ist es wieder nicht, sich hüllenlos anderen Familienmitgliedern, noch dazu der eigenen Großmutter, zu zeigen. Jedenfalls haben wir jetzt eine vollkommen neue Beziehung zueinander. Eigentlich ist die Hanna die Fescheste von uns. Man sieht ihr überhaupt nicht an, daß sie die Vierzig bereits überschritten hat. Sie hat eine tolle Figur. Und einen Pullover kann sie so richtig ausfüllen. Arme Laura! Jeden Tag sieht sie uns zwei vollbusige Weiber! Ich habe mir schon des öfteren beim Wäschezusammenlegen gedacht, daß sie sich einen Busenhalter nur pro forma umhängt. Allerdings habe ich bis dahin geglaubt, das ist so, weil sie noch ein Kind ist.
Hanna
Das ewige Einkaufen geht mir schwer auf die Nerven. Wenn ich etwas nicht bekomme, dann heißt es sofort, wahrscheinlich hast du nicht richtig geschaut. Ich steh’ wie ein Trottel vor den Regalen, aber das Zeug, das auf dem Einkaufszettel steht, genau das finde ich nicht. Und Personal zum Befragen, finde ich in der Regel auch nicht. Bad luck, da muß die Toni halt selber gehen, wenn sie so ausgefallene Wünsche hat. Ich hab’ keinerlei exotische Ansprüche, was das Essen betrifft, Hauptsache, es ist irgend etwas da. Allerdings bin ich zugegebenermaßen eine ziemlich schlechte Köchin, vielleicht auch deswegen, weil die Toni sich nie Zeit genommen hat, es mir beizubringen. Es war auch nicht möglich, denn gekocht hat sie erst, wenn ich bereits im Bett gelegen bin und geschlafen hab’. Es wäre sich auch nicht anders ausgegangen. Meistens kam sie erst kurz vor halb sieben aus dem Büro zurück, daher wurde am Abend immer das am Vortag zubereitete Essen aufgewärmt. Zuschauen beim Kochen, wie es andere Kinder konnten, hat es bei uns nicht gegeben. Jetzt hat sie Zeit zum Kochen. Wahrscheinlich überlegt sie sich genau deswegen immer so ausgefallene Menus. Mit Zutaten, die ich beim Einkaufen nicht finde … .
Wenn ich es mir so richtig überleg’, dann geht es bei uns drei Frauen manches Mal schon recht merkwürdig zu. Da kann es schon gelegentlich passieren, daß zwei Männer sich plötzlich wenig bekleidet vor dem Klo treffen. Regel Nummer eins ist nämlich, Besucher gibt’s nur im eigenen Zimmer. Das Wohnzimmer ist Tabu, außer wir bekommen Besuch, der uns alle betrifft, was allerdings eher selten ist.
Ich möcht’ nur wissen, was sich die Laura denkt, wenn da eindeutige Geräusche aus Tonis Zimmer kommen. Irgendwie scheint meine Mutter ein halbes Leben an Zurückhaltung nachholen zu wollen. Zugegeben, meistens sind es sehr nette Kerle, die sie zu sich einlädt. Manches Mal könnte einem glatt der Neid fressen, vor allem, wenn ich an meinen Langweiler denke, der sich nicht und nicht entschließen kann, seiner Frau zumindest unser Verhältnis einzugestehen. Er redet und redet, so lang jedenfalls, bis wir im Bett landen. Für ihn ist das natürlich eine sehr bequeme Lösung. Zu sehr stört es mich allerdings auch nicht, weil ich keinerlei weitergehende Bindung eingehen muß. Er könnte genauso gut über die Preise am Naschmarkt reden, um über die ersten, eher steifen Momente bei unseren Begegnungen hinwegzukommen.
Ich hätte mir schon längst einen anderen Freund zulegen sollen. Selbstverständlich genieße ich es, auf mich gerichtete Männerblicke zu spüren. Sogar mein Herr Direktor sieht vor allem bloß meinen Busen und nicht eine Kollegin vor sich … .
Ich bin schon neugierig, ob die Laura mehr Glück in ihren Beziehungen haben wird. Sie verkörpert einen ganz anderen Typ: Sie ist unheimlich schlank, um nicht zu sagen, fast ein wenig dürr, und nicht so vollbusig wie die Toni und ich.
Einen Freund scheint sie jedenfalls schon zu haben. Ich vermute, daß die beiden nicht nur miteinander lernen. Eine sehr ausgeglichene Kindheit hat sie garantiert gehabt, meine Laura, eine mit zwei Müttern, denn die Toni hat sich zumindest so viel um sie gekümmert wie ich. Vielleicht sogar ein bißchen mehr. Seit sie in Pension ist, hat sie offensichtlich genügend Zeit, mit Laura stundenlang zu quatschen. Ich muß mich ja gelegentlich auch für die Schule vorbereiten. Ich hab’ leider nicht immer Zeit für sie.
Laura
Ich muß unbedingt die Mama bitten, mir bei der Matura-Fachbereichsarbeit zu helfen. So ganz sehe ich mich nicht hinaus. Da hab’ ich auf ihr Anraten ein Thema zur Frauenemanzipation gewählt – natürlich liegt mir das sehr am Herzen und interessiert mich brennend –, aber mit der Flut an Literatur komme ich nicht zurecht. Ich glaube, ich habe die Übersicht schon längst verloren. Und einen Text muß ich auch noch schreiben … Die in meiner Klasse gehen mir schwer auf den Geist, vor allem die Daphne, die pausenlos mit ihrem Vater prahlt: Mein Papa hat das gesagt, mein Papa hat das gemacht. Na und? Ich hab’ meinen Vater nie kennengelernt. Ich möchte ihn auch nicht kennenlernen. Jedes Mal, wenn die in der Klasse mich fragen, was mein Vater ist, welchen Beruf er denn ausübe, dann sage ich: Mein Vater ist ein Arschloch, sowohl beruflich als auch privat.
Ein bißchen ist es schon schad, daß es in unserer Familie keinen Mann gibt. Tonis Bekanntschaften sind stets nur vorübergehend, und der Bekannte meiner Mutter ist ein langweiliges Arschloch. Es scheint sie nicht zu stören, daß er verheiratet ist und zwei halbwüchsige Kinder hat. Wahrscheinlich treffen sich die beiden ohnehin nur, um gelegentlich miteinander zu schlafen. Ich versteh’ nicht, wieso das der Mama genügt. Sie ist doch zumindest so fesch wie die Toni, nur halt sehr zurückhaltend, ja, fast schüchtern. Die Oma dagegen ist umwerfend. Titten hat sie wie eine Dreißigjährige, und eine Figur wie eine Filmdiva. Ich wollte, ich hätte etwas davon geerbt. Ausgerechnet ich bin als einzige in dieser Familie flach wie ein Bügelbrett.
Eines freut mich schon, nämlich, daß ich selbst in Mathematik die beste Schülerin bin. Zwar sagen manche in der Klasse, das ist, weil meine Mutter eine Kollegin unserer Lehrer ist. Andere behaupten wieder, ich werde von ihr täglich für die Schule gedrillt. Wenn die wüßten, daß mir meine Mutter bisher nicht eine Minute helfen mußte, vielleicht würden sie dann ihr blödes Maul halten. Mich ekeln diese süß gezwitscherten, bösartigen Verleumdungen entsetzlich an. Ich freu’ mich schon, die Schule endlich hinter mich gebracht zu haben. Und was soll ich studieren? Auch Geschichte wie die Mama?
© Peter Weinberger 2015