Die Eidechse 

   
   
   

 

„Da schau, eine Eidechse“, sagte die Mama zu Guido, als sie durch den Schwarzenberg Park spazierten. „Na, hast du sie gesehen? Die ist gleich wieder hinter einem Stein verschwunden, wahrscheinlich will sie mit uns keine Bekanntschaft schließen“.

Guido war wenig beeindruckt. Na und, dachte er sich, was ist schon besonderes an einer Eidechse? Wenn es wenigstens ein Weiche-Eidechse oder eine Harte-Eidechse gewesen wäre, dann wäre es vielleicht etwas Besonderes. Eine Spiegel-Eidechse, fiel ihm ein, ja, die könnte wirklich eine Kuriosität sein. Pfui Teufel, dachte er sich aber sofort, wie macht man die eigentlich? Wird die gekocht oder gebraten? Guido schüttelte sich vor Grausen. Das ist ja urgrauslich! Und außerdem fragte er sich, was ist eigentlich eine „Dechse“? Ist das ein winziger Dinosaurier? Ausschauen tut sie wie ein Prontosaurier, würde man verkehrt durch ein Fernglas schauen. Mit Sauriern kannte er sich nämlich ziemlich gut aus. Nein, überlegte er, das kann es auch nicht sein! Da muß man wirklich besonders dumm sein, einen Feldstecher so blöd in der Hand zu halten.

„Schau Guido, da fliegt ein Schmetterling, ein Kohlweißling!“, ermunterte ihn seine Mama, als sie sah, daß er offensichtlich wieder einmal ins Grübeln versunken war.

Ein Kohlweißling? Schon wieder so ein Unsinn! Wieso weiß die Mama, daß es Kohl ist? Ich nenne ihn Kohlrabiweißling und fertig. Und außerdem will ich jetzt endlich die Extrawurstsemmel haben, die sie mir beim Aussteigen versprochen hat.

„Guido, schaust du schon wieder ins Narrenkastl? Hast du überhaupt zugehört, als ich dir den Schmetterling zeigen wollte? Jetzt ist er natürlich über alle Berge“.

„Klar Mama, habe ich zugehört, und den Schmetterling habe ich auch gesehen, aber es ist mir eingefallen, daß der Papa unlängst gesagt hat, Kohl heißt bei uns in Wien Kelch. Nur bei denen in Deutschland heißt der Kelch Kohl. Sie sagen auch, der oder die redet einen Kohl daher. Einen Kelch reden, hat er gemeint, kann man nicht sagen. Das ist ein Blödsinn. Genau deswegen habe ich mir überlegt, den Schmetterling Kohlrabiweißling zu nennen, weil das klingt auch nach Blödsinn“.

Befriedigt mampfte Guido seine Extrawurstsemmel, vergnügt nunmehr auf einer Decke in der Mitte der Wiese zu sitzen. Rund um ihn summten und brummten Insekten aller Art.

„Kannst du mir sagen“, meinte er plötzlich mit vollem Mund, „warum es Schmetterling heißt? Der, den wir gesehen haben, schmettert doch niemand nieder, noch hat er uns angeschmettert“.

 

 

©  Peter Weinberger 2015