Vierzehn Frauen

   
   

Zwei Frauen, neolithisch, Südanatolien, etwa 7000 v.u.Z.

   
   
   
   
   

 
 
 
Der Streit um Gustav Klimts Erbe
 
     
Moche-Kultur, Peru,
100 - 800 n.u.Z.
   

Also, vierzehn sind wir insgesamt. Vierzehn Frauen, die sich mit ihren Kindern beim Verlassenschaftsrichter eingefunden haben. Natürlich kennen wir uns alle untereinander. Jede von uns will halt aus seinem Nachlaß einen gerechten Anteil, schließlich sind es größtenteils seine Kinder, seine Bastarde, die wir angeschleppt haben.

Die Mizzi und die Maria erwarten, es beim Richter etwas leichter zu haben, denn deren Buben hat er ja als seine Sprößlinge legal anerkannt. Der Mizzi ihr Kleiner ist bloß ein Jahr alt geworden. Mit ihrem Gustav und dem kleinen Otto hat die Maria dagegen offensichtlich echte Chancen auf einen Teil seiner Verlassenschaft. Glaubt sie zumindest.

Auf die Mizzi ist er total versessen gewesen. Die hat ihm mit ihren roten Haaren und natürlich mit ihrem roten Buschen total den Kopf verdreht. Kein Wunder, daß sie einen Bamperletsch vom ihm verpaßt bekommen hat. Sogar als sie schwanger war und schon einen dicken Bauch gehabt hat, hat sie ihm noch Modell stehen müssen. Stundenlang hat er sie im Atelier nackt posieren lassen, dabei ist ihr schon der Nabel spitz hinausgestanden.

Eh klar! Weil die meisten Frauen einen schwarzen Buschen haben, ist er besonders auf die andersfärbigen gestanden. Auf den roten von der Mizzi und den blonden von der Gerti . . .  .

Auf weibliche Hintern, fällt mir gerade ein, ist er wie wild abgefahren. Von der Herma soll er bei irgendeinem Anlaß gesagt haben: „Das Mädel hat einen Körper, von dem der Hintern schöner und intelligenter ist als das Gesicht bei vielen andern.“  Ihren Hintern hat er jedenfalls etliche Male verewigt. Sogar in Öl . . . .

Also, einfach war’s nicht mit ihm. Kaum hat er ein neues Modell gehabt, hat er es schon nach ein paar Sitzungen gevögelt. Das ist immer nach dem gleichen Muster abgelaufen. Erst hat er sie nackt posieren lassen, und dann, wie er’s nicht mehr aushalten hat können, ist er wie ein Raubtier über sie hergefallen. Die feinen Damen aus der besseren Gesellschaft, die er für viel Geld portraitiert hat, haben es natürlich besser gehabt. Die haben sich nicht nackt hinstellen müssen! Und betatschkerlt wurden sie auch nicht . . .  .

Sich nicht mehr von ihm vögeln zu lassen, war meistens zugleich das Ende einer Karriere als Modell bei ihm. Oft sind wir zu zweit oder gar zu dritt nackt auf dem großen Bett gelegen. Und er hat gezeichnet. Ununterbrochen hat er ein neues Stück Packpapier auf seinen Tisch gelegt und eine andere Perspektive von uns versucht.

Ich weiß gar nicht, wie oft er mich von hinten, als Rückenakt, wie er es genannt hat, gezeichnet hat. Schön brav ein wenig schief kauern, hat’s immer g’heißen, wahrscheinlich damit mein Hintern möglichst prominent zur Geltung kommt.

Einmal hat er wollen, daß ich mich eine ganze Stunde selber befriedige, bevor er mich gepudert hat. Mehrere Zeichnungen hat er damals von mir angefertigt, alle mit einem meiner Finger in meiner Muschel. Wie er dann – nachher natürlich – hinausgegangen ist, habe ich eine der Zeichnungen versteckt und später mit nach Hause genommen. Er hat es überhaupt nicht bemerkt, weil da so viele Blätter übereinander gelegen sind.

Ich hab’ noch etliche Male ein paar Zeichnungen mitgehen lassen. Mit voller Absicht natürlich, um sie eventuell später einmal zu verkaufen. Das nackte Herumlungern, etliche Stunden hindurch, war schließlich ziemlich schlecht bezahlt. Und außerdem war’s immer kalt im Atelier. Für den obligaten Beischlaf danach hat’s natürlich auch nichts geben. Im Gegenteil: Ein Kind hat er mir ang’hängt, ein Mäderl, für das ich ganz allein aufkommen muß, weil legalisiert hat er nur die Buben von der Mizzi und der Maria. Ein richtig süßer Bengel ist sie, meine Luzi. Jetzt, da er tot ist, bleibt sie mir halt als Erinnerung an ihn ... .

Eben hat der Richter gesagt, die Hedi soll sich eines gemäßigteren Tons befleißigen, sonst laßt er sie aus dem Verhandlungssaal entfernen. Die war schon immer besonders vorlaut und hat nie ihr Maul halten können. Und ausgerechnet mit ihr habe ich mich ein paar Nachmittage hindurch auf lesbisch vergnügen müssen. Er wollte, wie er uns sagte, unbedingt zwei Freundinnen beim gegenseitigen körperlichen Kontakt zunächst zeichnen und dann malen. Einmal hat er sie halb angezogen sehen wollen, dann wiederum mich. Sogar so eine Art Turban hat er verlangt, daß wir abwechselnd aufsetzen sollen.

Mit jedem Kostümwechsel hat die Fummelei auf’s neue begonnen. Richtig peinlich war’s mir, ihr einmal das linke und dann wiederum das rechte Duttel zu halten. Leider ist er mit der ersten Sitzung nicht zufrieden gewesen. Eine ganze Woche hat sich das damals hingezogen. Und zum Schluß hat er uns abwechselnd gepudert.

Diese ewigen Szenen zu zweit. Mir war viel lieber, allein Modell zu stehen, auch wenn er nur am Spreizen meiner Schenkel interessiert war. Jedes Mal hat er, spätestens dann, wenn ich aus lauter Langweile schon fast eingeschlafen war, meine Körperstellung für sein Vergnügen ausgenützt . . . .

Irgendwie schon interessant, die anderen zu sehen. In Blusen und langen Röcken, so schön züchtig halt. Ein paar haben sogar lächerliche Hüte aufg’setzt, mit Kirschen und Blumen obendrauf. Also, ich hab’ uns, die Luzi, immerhin seine Tochter, und mich, auf ärmlich angezogen. Vielleicht wirkt das beim Verlassenschaftsrichter eher als die Hüte mit den Kirschen . . .  .

So, jetzt, weil alle Einsprüche und Ansprüche eingebracht worden sind, wird’s langsam interessant. Jetzt wird der Richter bald eine Entscheidung über die Aufteilung der Verlassenschaft treffen müssen. Ob der wirklich die vielen unehelichen Kinder berücksichtigen wird?

Geheiratet hat er nämlich nicht einmal diese aufgeputzte Kuh, die Emilie. Trotz ihres bestens gehenden Modegeschäfts. Ob er mit ihr je gebumst hat, wo er doch jederzeit die Allerschönsten in seinem Atelier haben konnte? Ein Bild von ihrem Hintern – so wie das von der Herma ihrem – habe ich jedenfalls bis jetzt nicht gesehen.

Also, das ist doch wirklich arg. Nur für legale Erben gibt’s ein Anrecht auf eine Verlassenschaft, sagt er. Die vom Gusti anerkannten Kinder bekommen deshalb eine kleine finanzielle Zuwendung. Alle anderen bekommen nichts, weil er kein Testament mit Verfügungen bezüglich uns allen hinterlassen hat. Großartig! Da hat er uns alle jahrelang gevögelt, uns Kinder angehängt, stundenlang im kalten Atelier nackt herumkugeln lassen, und dann gibt’s dafür nicht einmal ein kleines finanzielles Dankeschön.

Klar, daß alle schimpfen wie die Rohrspatzen. Jetzt haben’s sogar die letzten begriffen: Nix gibt’s für uns. Unsere Kinder könnten ja auch von wem anderen sein! Wahrscheinlich sind wir für ihn, für den Herrn Rat, nur Schlampen, die der berühmte Herr Künstler vollkommen zu recht ein bißerl gevögelt hat.

Ich hab’ ihn einmal g’fragt, ob nicht die Zeichnungen, die er von uns anfertigt, eigentlich Pornographie sind. Schau, hat er damals g’meint, an deinen Dutteln ist nix pornographisch. Es ist schade, daß du sie fast immer in deiner Bluse verstecken mußt. Nackt ist der Mensch am schönsten, auch wenn andere glauben, Nacktheit und Unmoral gehen Hand in Hand.

Na, vielleicht hat er doch recht g’habt, der Gusti, bloß ich werd’ halt in Zukunft wieder als Kellnerin in einem Kaffeehaus arbeiten müssen. Dort wird mich gelegentlich einer der feinen Herren, die ihn so lautstark angegriffen haben, in den Hintern zwicken. Einer feschen Kellnerin auf’s Hinterteil greifen zu dürfen, gehört vermutlich zu deren Selbstverständnis. Ein bekleideter Hintern ist schließlich nicht pornographisch.

Luzi, wir gehen! Nichts hat für uns herausgeschaut. Du bist zwar seine Tochter, aber vor dem Gesetz zählst du, ein sogenanntes illegitimes Kind, wie es eben geheißen hat, nicht. Sag „Auf Wiederschauen!“ zu deine Halbgeschwister, du wirst sie kaum wiedersehen.


©  Peter Weinberger 2015