Elf Frauen

   
   

Escuelas Mayores, Fassadendetail, Universität von Salamanca, Spanien, 15. Jahrhundert

   
   
   
   
   

 
  
  
Die elf Frauen von Sparta
  
 
Trinkgefäß, attisch,
Detail, 590-480 v.u.Z.
   

Es heißt, im alten Sparta habe es elf dem Dionysos-Kult dienende Frauen, Dionysiaden genannt, gegeben. Es heißt aber auch, daß in den Schriften der Alten sich Tatsachen kräftig mit Meinung und Vorstellungen vermischen und diese mitunter vollkommen falsche Bilder erwecken.

Die überlieferten sexuellen Gebräuche der Spartanern lassen in der Tat der Phantasie viel Spielraum, denn so ganz unschuldig dürften die beliebten, im nackten Zustand vollzogenen Ringkämpfe nicht gewesen sein, insbesondere, wenn es sich um gemischtgeschlechtliche handelte. Glaubt man den Erzählungen der Alten, dann gehörten nicht nur natürliche Nacktheit zum Selbstverständnis der Spartaner, sondern auch gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen.

Sehr viel, scheint es, haben selbst die Alten nicht über die elf Dionysiaden, über jene elf Frauen von Sparta, gewußt. Vielleicht haben die nur die Horden wildgewordener Frauen, die dem Dionysos-Mythos huldigten, ermuntert, angefeuert, aufgestachelt. Horden, die wie die Göttin Diana durch die Wälder zogen, sich vom rohen Fleisch erlegter Tiere ernährten und deren Blut auf sich spritzten? Dionysos war schließlich dem Wesen nach nicht nur Bakchos, der Gott des Weines. Es ist durchaus auch möglich, daß diese elf Dionysiaden jene „speziellen Frauen waren, die, ähnlich wie in Athen, männliche Dionysos-Pilger auf ihre Reise nach Delphi „begleiteten.

Viele Jahre später, als Griechenland und damit auch Sparta längst Teil einer römischen Provinz waren, wirkte immer noch der Mythos von den elf Dionysiaden nach, zum Teil auch deswegen, weil der Dionysos-Kult weite Verbreitung im römischen Reich gefunden hatte. Allerdings erlangte Sparta bald den Ruf einer Stadt der Lustbarkeiten, Ausschweifung und Unterhaltungen, auch weil Frauen und Knaben jeglicher Herkunft stets zur Verfügung standen. Es waren vor allem die überlieferten spartanischen Gebräuche von Ringkämpfen, die reiche römische Bürger anlockten, um miteinander kämpfende nackte Frauen zu sehen.

Es ist sehr gut vorstellbar, daß eines der Ringerteams, ein Team von elf Frauen, sich „Die Dionysiaden nannte und Abend für Abend Schaukämpfe austrug, selbstverständlich alle jene Momente zeigend, die ein ohnehin voyeuristisch eingestelltes, vorwiegend römisches Publikum zu sehen wünschte.

Es ist schon eigenartig: Jahrhunderte lang hatte man sich Bacchantinnen in Anlehnung zu den Schriften der Alten als Ausschweifende, als vollkommen Entfesselte vorgestellt und die Dionysiaden vermutlich als deren Anführerinnen. Das bukolisch verkitschte Bild inmitten flauschiger Lämmchen als Adeptinnen eines gemütlich versoffenen Bacchus war wohl erst eine Erfindung des Rokoko, um den im Dionysos-Kult verborgenen Mythos vom Frühlingserwachen diskret zu belächeln.


©  Peter Weinberger 2015